EUGH-Urteil gefährdet Bestand der Zuckerfabrik

Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), gegen Notfallzulassungen bestimmter Pestizide, stehen der Zuckerrübenanbau in ganz Europa und die damit verbundenen Arbeitsplätze wie in der Zuckerfabrik Leopoldsdorf vor einer ungewissen Zukunft.

Vor diesem Hintergrund fordern EU-Abgeordneter Günther Sidl, Nationalratsabgeordnete Katharina Kucharowits, der designierte Landtagsabgeordnete Rene Zonschits, der Leopoldsdorfer Bürgermeister Clemens Nagel (alle SPÖ) sowie Betriebsrat Dietmar Hubek im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz langfristige Lösungen für eine nachhaltige Zuckerproduktion, die auch die Eigenversorgung Österreichs garantieren.

EU-Abgeordneter Günther Sidl aus dem Bezirk Melk fordert: EU muss für nachhaltige Alternativen zu den gängigen Pestiziden sorgen, Verbote alleine sind keine Lösung für ein nachhaltiges Handeln im Umwelt- und Klimaschutz.

NAbg. Katharina Kucharowits warnt vor kurzfristigen Entscheidungen, die die landwirtschaftliche Produktion in der EU erschweren. Was nicht nachhaltig produziert wird, werde importiert und richte an anderen Teilen der Welt Schäden an. Bei vielen Nahrungs- und Futtermittelimporten werde nicht genug darauf geachtet, wie sie im Herkunftsland hergestellt werden. Mit Handelsabkommen MERCOSUR werden heimische landwirtschaftliche Betriebe einem immensen Preisdruck ausgesetzt und die Pestizide erst wieder durch die Hintertür eingeführt. Bestehende Probleme würden dadurch nur verschärft werden und nicht gelöst.

Designierter Landtagsabgeordneter René Zonschitz fordert Anstrengungen auf allen politischen Ebenen, um die Marchfelder Landwirtschaft zukunftsfit zu machen. Im Mittelpunkt stehe die österreichische Selbstversorgung, zu der die landwirtschaftliche Produktion im Marchfeld die Basis liefere. Umso wichtiger sei es, die Nahrungsmittelproduktion an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Schließlich gehe es nicht nur um die Arbeitsplätze, sondern um die Zukunft der gesamten Region.

Bgm. Clemens Nagel, Marktgemeinde Leopoldsdorf:

Aus seiner Sicht wäre eine weitere Notfallzulassung für die im Zuckerrübenanbau verwendeten Pestizide kurzfristig das geringste Übel, denn in Verwendung sei gebeiztes Saatgut, das – im Vergleich mit anderen Pestiziden – 25 mal weniger Gift in die Ackerflächen bringe und mit Nützlingen und Bienen nicht in Kontakt kommen würde. Moderate Mittel, wie die Saatgutbeize, seien nicht das dringendste Problem, dem die Zuckerfabriks-Arbeitsplätze zum Opfer fallen müssten. Vielmehr sollten Landwirte bei einem schädlingsbedingten Totalausfall des Saatgutes durch Beihilfen aus dem Landwirtschaftsbudget schnell und unbürokratisch geholfen werden.

Dietmar Hubek, FSG-Betriebsrat Zuckerfabrik Leopoldsdorf:

Die Zuckerfabrik Leopoldsdorf ist ein wichtiger Baustein für die österreichische Eigenversorgung mit hochqualitativem Zucker. Darüber hinaus bietet sie die Lebensgrundlage für über 200 Beschäftigte und deren Familien – so FSG-Betriebsrat Dietmar Hubek. Umso wichtiger sei ihm eine nachhaltige Lösung, die vor allem die endlich dauerhafte Absicherung der erwähnten Arbeitsplätze in der Zuckerfabrik Leopoldsdorf beinhalten müsse. Dafür brauche es auf allen politischen Ebenen klare Weichenstellungen für eine ungefährdete Zukunft des Agrana Zuckerwerks in Leopoldsdorf.

AGRANA tut alles, um Rübenanbau zu forcieren

Die AGRANA – so Pressesprecher Markus Simak – habe das EuGH-Urteil  zum Verbot von Notfallzulassungen für eine begrenzte Verwendung von Neonicotinoiden im Zuckerrübenanbau mit Verwunderung und Bedauern zur Kenntnis genommen.

Damit habe man – so Simak – den Bauern ein effizientes Mittel zum Schutz der Rübenkultur genommen. „Unsere RohstoffexpertInnen arbeiten an der Planung unterstützender Maßnahmen für ProduzentInnen. Wir sind hinsichtlich eines erfolgreichen Rübenanbaus 2023 zuversichtlich und bleiben weiterhin optimistisch“, so Simak.

Man offeriere den Landwirten Preisbedingungen, die den Rübenanbau – trotz Mehraufwand – gegenüber Alternativkulturen attraktiv sein lasse. Simak: „Der Zuckerpreis, aus dem sich das Rübenpreisgeld für die Rübenbauern ableitet, befindet sich nach wie vor auf hohem Niveau“. Bei den Kontrahierungen habe man mit 37.000 ha das budgetierte Flächenniveau bereits erreicht. Der Konzern werde die Rübenbauern verstärkt unterstützen, um die bereits kontrahierten Flächen zu erhalten.

Neonicotinoide – einzig wirksames Pflanzenschutzmittel

„Die Rübenbauern“-Geschäftsführer Markus Schöberl stellt es im Zusammenhang mit den Forderungen nach alternativen Rübenschutzmitteln die Haare auf. „Es gibt keine alternativen Lösungsansätze. Die Diskussion ist mittlerweile nervig. Jeder ist ein Fantast, der glaubt, dass es ohne Pflanzenschutz geht. Und zwar rede ich von den Neonicotionoiden. Nur mit diesen können die Rüben wirksam vor Rübenrüsselkäfer und Erdfloh geschützt werden“.

Das vernichtende EuGH-Urteil gegen die Anwendung von Neonicotinoiden stellt die Rübenwirtschaft vor ein großes Problem. „Es gibt kaum Insektizide, die hier alternativ angewendet wirksam sind. Dabei wurde unsererseits immer wieder festgestellt, dass die Neonicotinoide nicht auf die blühende Kultur aufgebracht werden und somit in keinster Weise mit Bienen und sonstigen Insekten in Berührung kommen. Aber uns wurde kein Gehör geschenkt. Mittlerweile haben die NGO´s mehr Macht als die Politik“, klagt Schöberl.

Notfallzulassungsverbot für Zuckerrüben induziert Problemverschiebung nach Übersee

Der Wegfall der Notfallzulassungen im Rübenanbau habe laut Schöberl für Österreich katastrophale Auswirkungen. Anstatt heimische Zuckerprodukte werden die Regale früher oder später mit Zucker aus Ländern gefüllt werden, wo mit Spritzmitteln gearbeitet wird, die in Österreich ganz sicher keine Zulassung bekommen hätten. Mit dem Verbot werden Probleme in ferne Länder verschoben. Dort wird für jedes Hektar Zuckerrüben, der bei uns nicht angebaut werden darf,  ein Hektar Urwald abgebrannt werden.

Der Wegfall heimischen Zuckers ist aber erst der Beginn dafür, dass das vertraute Bild heimischer Produkte in den Regalen aufgrund weiterer Insektizidverbote nach und nach verschwinden wird. Stattdessen werden Lebensmitteln aus Übersee angeboten, in denen mitunter intransparent, was Pflanzenschutz anbelangt, gearbeitet wird.

„Hier haben sich viele unbedacht der Kampagne gegen den Einsatz von Neonicotinoiden angeschlossen, ohne sich über die tatsächliche Anwendung des gebeizten Saatgutes  zu informieren. Und ohne sich Gedanken über die Auswirkungen für Bauern und Konsumenten gemacht zu haben“, kritisiert Schöberl.

Widerruf des Neonicotionoidgesetzes nur durch Kommission möglich

„Gesetz ist Gesetz, das muss nun auch befolgt werden und könnte lediglich von der Kommission selbst rückgängig gemacht werden. Wir als Vertreter der Rübenbauern werden diese bestmöglichst unterstützen und versuchen, sie für den Rübenanbau zu motivieren“, so Schöberl. Schließlich versuche man die für den Rübenanbau vorgesehene 37.000 ha große Fläche zu halten.

Der Anbau – so der Rübenbauernbund-Geschäftsführer – sei nicht unmöglich, vielmehr sei er aufgrund der Witterungsabhängigkeit riskant. „Wir hoffen auf ein Jahr mit Niederschlägen und dass sich die Bauern nicht einschüchtern lassen und trotzdem sich für die Rübenkultur entscheiden“. Ein kleiner Trost für Rübenbauern: Auch fraßbedingte Ausfälle werden teilweise durch die Österreichische Hagelversicherung abgedeckt.

Europäische Kommission soll Versorgungssicherheit im Rübenanbau bewerten

Kathrin Angerer, Pressesprecherin Landwirtschaftsministerium: „Es wurde nun durch die Kommission bzw. das zuständige Bundesamt für Ernährungssicherheit mithilfe europarechtlicher Expertise geklärt, dass es trotz Setzung von Begleitmaßnahmen zur Risikoüberwachung keinen Spielraum für eine Notfallzulassung bei der Rübensaatgutbeize gibt.

Die Europäische Kommission ist nun gefordert, die Auswirkungen dieses Urteils auf die europäische Versorgungssicherheit, insbesondere im Rübenanbau und der Zuckerproduktion rasch zu bewerten“. Und sie werde auch darlegen müssen, wie aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Europa künftig ein wettbewerbsfähiger Pflanzenbau abgesichert werden soll.

Maria Köhler

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